BVB: Mut zum Mut

Vor rund zwei Jahren kämpfte der Klub ums Überleben. Jetzt will Borussia Dortmund den UEFA-Cup erreichen. Nach zwei Jahren Mängelverwaltung wurde der BVB-Kader mit Steven Pienaar, Nelson Valdez und Alexander Frei verstärkt. Nur ein paar silbrig-graue Fäden ziehen sich durch das Haar. Michael Zorc (43) trägt es länger als früher, die schwarze Pracht fällt lockig, und manchmal massiert er eine Fingerspitze Gel hinein. Damit hat es sich schon mit den kleinen Extravaganzen des Dortmunder Sportdirektors, der die in diesen hochsommerlichen Tagen viel genutzte Sonnenbrille weniger als modischen Schnickschnack begreift, sondern als Schutz vor intensivsten Strahlen. Vor gar nicht so langer Zeit hätten dunkle Brillengläser Zorc die perfekte Möglichkeit geboten, dunkle Ringe und feine Falten unter seinen Augen zu tarnen. Hier bildeten sich Stress und Sorgen ab, als heftige interne Machtkämpfe an Zorc zehrten, und der Verein auf einem Trümmerfeld kurz vor der ""letzten Tlung"" stand. Sie wurde vermieden, weil Dr.Reinhard Rauball (59) als Präsident und Schatzmeister Hans-Joachim Watzke (47), inzwischen Vorsitzender der Geschäftsführung, entschlossen lebenserhaltende Maßnahmen einleiteten und die ""Mission impossible"" seitdem zu einem guten Ende führten. Heute trifft man Zorc vormittags auf dem neuen Trainingsgelände im Stadtteil Brackel. Und auch wenn die Finanzierung durch die Dortmunder Stadtwerke erfolgte, die knapp zehn Millionen Euro investierten, und die Borussia für die Nutzung des Geländes Miete zahlt, steht das modern gestaltete und funktionell ausgerichtete Übungszentrum - vier Rasenplätze, zwei mit Heizung, eine Erweiterung um drei weitere Plätze ist geplant - für eine totale Zeitenwende. Für Wandel und Neuanfang. Der sechsmalige Deutsche Meister, der unfassbare Summen verplempert hatte und 2004 um seine Lizenz zittern musste, versteht sich nach Totalsanierung mittelfristig wieder als Alternative zu Hertha BSC Berlin, Bayer Leverkusen, Schalke04, Werder Bremen und dem Hamburger SV. ""Wir sind der Verein mit den meisten Zuschauern in Europa"", sagt Trainer Bert van Marwijk (54), ""deshalb brauchen wir einen höheren Status."" Einen höheren als den, der mit Rang sieben in der bisher letzten Abschlusstabelle zum Ausdruck kommt. Spitzenreiter war die Borussia nur im Niemandsland der Tabelle, dort hat sie jetzt ihren Wohnsitz gekündigt. Mit sofortiger Wirkung wie es heißt. Dortmund will in höhere Regionen umsiedeln, peilt die Teilnahme am internationalen Wettbewerb an, ""und dafür"", bekräftigt Watzke, ""haben wir die Voraussetzungen geschaffen"". Erst wirtschaftlich, mit hoch dotierten Sponsoren-Verträgen (z.B. Signal Iduna, RAG), mit dem Rückkauf des Stadions und der Umschuldung durch die US-amerikanische Investmentbank Morgan Stanley, und jetzt auch sportlich. Nachdem zwei Jahre nur Mängelverwaltung betrieben wurde und die Personalplanung weniger am Reißbrett stattfand, sondern an den Wühltischen, wo die Sonderangebote ausgelegt waren, hat der Mut zum Mut ganz Dortmund erfasst. ""Überall"", versichert Zorc, ""überall ist der Wunsch spürbar, wieder höhere Ziele anzugreifen."" Europa lockt, 2007 könnte es losgehen, und der UEFA-Cup soll die Startrampe sein. Mit Steven Pienaar (24, Ajax Amsterdam, Mittelfeld), Alexander Frei (26, Stade Rennes), Nelson Valdez (22, Werder Bremen, beide Sturm) sowie Martin Amedick (23, Eintracht Braunschweig, Abwehr) möbelte Zorc den Kader auf. Zudem befindet sich der Brasilianer Tinga (28, Internacional Porto Alegre, Mittelfeld) in der Einflugschneise auf Dortmund. Von ihm berichtet van Marwijk ergriffen, dass ""er immer zwei Stationen weiter denkt"". Sollte sich auch dieser Transfer nach Ende der Copa Libertadores, dem südamerikanischen Gegenstück zur Champions League, realisieren lassen, hätte Dortmund die Mannschaft für eine Netto-Investition von weniger als zwei Millionen Euro - knapp zwölf Millionen wurden ausgegeben, fast zehn für Tomas Rosicky eingenommen - substanziell erheblich aufgepeppt. ""Da ist viel Qualität eingekauft worden"", meint Kapitän Christian Wörns (34), ""unsere Klubführung ist in Vorleistung getreten, jetzt müssen wir Spieler nachziehen."" Erfahrene Spieler stehen in dieser Pflicht, international bewährte, aber auch junge aus dem eigenen Talentschuppen, der mit Sebastian Tyrala (18, Mittelfeld, Angriff) und David Vrzogic (16, Abwehr) gerade erst zwei neue Rohdiamanten ausgespuckt hat. Wie zuvor schon Nuri Sahin (17), dessen Stern in der vorigen Saison aufging, oder wie David Odonkor (22), der sich durch seine Auftritte bei der Weltmeisterschaft endgültig ins Rampenlicht katapultierte, sollen sie an den Profibereich herangeführt werden. Auf diese Weise hofft Watzke auch Bedenken zu zerstreuen, dass Borussia Dortmund eine Abkehr von seinem viel beachteten ""Jugend-forsch-Prinzip"" vollziehen könne. ""So eine Abkehr wird es nicht geben"", beteuert Watzke, ""wir bauen weiter auf Jungs, die bei uns ausgebildet wurden und auf echte Verstärkungen. Was wir nicht mehr wollen, ist, wie in der Vergangenheit viel Geld für Durchschnittsspieler auszugeben."" Zwei Dutzend Profis führt der BVB in seinem Saisonkader, bis zu 28,5 Millionen Euro werden zukünftig an jährlichen Gehältern für sie bereitgestellt. Weil Topverdiener gingen (Rosicky, Koller) oder neue Verträge zu reduzierten Bedingungen unterschrieben (Wörns, Kehl, Ricken), liegt das Mannschaftsbudget trotz verschiedener Zukäufe damit nur zwei Millionen Euro höher als bisher. Kommenden Freitag stellt die Borussia ihr neues Trikot vor. Darauf wird kein Schriftzug des neuen Hauptsponsors RAG prangen, sondern ein von Künstler Ottmar Alt gezeichnetes Ausrufezeichen. Voraussichtlich bis zum Frühjahr 2007 wird es seinen Platz auf gelb-weiß-längstgestreiftem Untergrund finden - bis feststeht, unter welchem Namen die RAG ihren Börsengang antritt. Das Ausrufezeichen wird zugunsten dieses Namens wieder eingemottet. Nur die Spieler sollen noch welche setzen, so viele wie möglich.