´Sahin: Habe noch nicht gezeigt, was ich kann´

Weil Nuri Sahin möglicherweise auf der Bank versauert wäre, hat der BVB sein großes Talent eine Saison an Feyenoord Rotterdam ausgeliehen. In den ersten Testspielen für den Traditionsklub deutete der 18-Jährige seine außergewöhnliche fußballerische Klasse an. Wilfried Wittke besuchte ihn im Trainingslager in Epe. Es geht alles ruhiger und beschaulicher zu in Holland. Erst recht in Epe, der 33 000-Seelen-Kleinstadt zwischen Apeldoorn und Zwolle. Viel Wald und Heide, ein kleiner Zoo und eine großzügige Sportanlage mit fünf gepflegten Rasenplätzen. Heimat des siebtklassigen SV Epe. Hier hat Feyenoord Rotterdam sein Trainingsquartier aufgeschlagen. Aber seitdem die Bert van Marwijk, Roy Makaay, Giovanni van Bronckhorst, Kevin Hofland, Nuri Sahin und Co. in der Provinz Gelderland residieren, ist es vorbei mit der Idylle - und Epe zum Mekka der Feyenoord-Sympathisanten geworden. Täglich pilgern und radeln sie in Heerscharen zu den Fußballplätzen. ""Ich glaube, die sind noch verrückter als die BVB-Fans"", staunt Nuri Sahin. Zum ersten Saisontraining auf einem mit Zusatztribünen ausgestatteten Nebenfeld des Rotterdamer Stadions ""De Kuip"" waren 15 000 Zuschauer gekommen. ""Eine Begeisterung und Stimmung, wie ich sie selbst bei Borussia nicht erlebt habe. Die haben pausenlos bengalische Feuer abgebrannt"", berichtet Sahin. Obwohl Feyenoord das letzte Spieljahr auf einem indiskutablen neunten Rang beendet hat, kennt die Euphorie um den niederländischen Traditionsklub keine Grenzen. Der Verein hat 38 000 Dauerkarten abgesetzt und musste den Verkauf einstellen. Mehr geht nicht. Zurück in Epe. Wie es sich für Holländer gehört, nehmen auch die Rotterdamer Fußball-Profis für den Weg vom Hotel zum Trainingsplatz das Fahrrad. Auch eine Art des Teambuildings. Unspektakulär und gemütlich, aber ganz spannend, wenn sie sich auf den letzten hundert Metern den Weg bahnen müssen durch ein Menschenspalier. Sie haben ihren Spaß. Selbst ein Roy Makaay, der bei Bayern München das edelste Profi-Verwöhnprogramm erleben durfte und nun zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist. Ein toller Sportler, keiner, der den Star herauskehrt. Er reicht mir die Hand und stellt sich vor. Kurz und knapp: ""Ich bin Roy."" Später, nach Trainingsende, schreibt er geduldig Autogramme und lässt sich mit Erwachsenen wie Kindern fotografieren. Alles kein Problem. Weil er ein solch sympathischer Zeitgenosse ist, weinen ihm viele Bayern-Fans Tränen nach. Feyenoord, diese Mischung aus erfahrenen und jungen Spielern, verbreitet sofort Wohlfühl-Aroma. Bert van Marwijk und seine früheren BVB-Mitstreiter Dick ""Cooky"" Voorn und Egid Kiesouw finden für jeden den richtigen Ton. Nuri Sahin blüht in diesem angenehmen Klima auf. ""Eine Klasse-Truppe"", sagt er. Auch fußballerisch. Pass-Schärfe, Handlungsgeschwindigkeit, Ballbehandlung - vom Feinsten. ""Selbst unser Torhüter Henk Timmer hat das drauf"", schwärmt Sahin. Weil sie in Holland in erster Linie ""schön und offensiv spielen"", glaubt der 18-Jährige, am richtigen Platz zu sein. Sahin schmunzelt: ""Ich bin nicht der Schnellste, aber ich kann schnell denken."" Und richtig gut Fußball spielen. Rotterdams große Tageszeitungen und die Fachzeitschrift ""Voetbal international"" priesen den von Borussia für ein Jahr ausgeliehenen Türken nach den ersten Testspielen als neuen Jung-Star. Im Mittelfeld spielte er neben den vielleicht größten Talenten des holländischen Fußballs, den nur unwesentlich älteren Jonathan De Guzman und Royston Drenthe, der in Aussehen und seiner Art Fußball zu spielen, dem großen Edgar Davids gleicht. Chelsea und Real Madrid locken U21-Europameister Drenthe bereits mit Millionen-Gagen. ""Ich hatte echt Schiss vor dem Wechsel nach Rotterdam"", gesteht Sahin. Denn der BVB war und ist ""sein Verein"", Dortmund und Meinerzhagen seine Heimat. Hier leben seine Verwandten und Freunde. Doch so ganz allein war er auch in Holland nicht. Seine türkische Freundin Tugba lebt in der Nähe von Amsterdam, und sein ""Ziehvater"" Bert van Marwijk (Voetbal international) sowie ""Cooky"" Voorn geben ihm jede Hilfestellung. Und natürlich Roy Makaay. ""Er war der Erste, der mich begrüßt hat, und seine Frau hat meine Freundin super aufgenommen"", erzählt Sahin. Er fand auch gleich einen Draht zu den Kollegen. ""Ich war überrascht, dass so viele englisch sprechen. Und den Trainer verstehe ich ja ohnehin"", schmunzelt er. Er freut sich jetzt auf das Lehrjahr in einer Mannschaft, die um den Titel mitspielen wird. Vor seinem Abschied nach Rotterdam hat er ""sehr gute Gespräche"" mit Michael Zorc und Thomas Doll geführt, obwohl die Vorbereitung des Ausleihgeschäfts nicht die ""feine englische Art"" war. Denn aus der Zeitung hatte er erfahren, dass der BVB beabsichtigte, ihn für ein Jahr bei einem anderen Klub zu ""parken"". ""Danach schaun wir mal, wie es weitergeht. Im Fußball gibt es keine Garantien"", sagt Sahin. Doch an seinen sportlichen Zielen lässt er keine Zweifel: ""Ich gebe mich mit 47 Bundesligaspielen nicht zufrieden und habe bei Borussia noch nicht gezeigt, was ich kann. Man darf nicht vergessen, dass ich erst 18 bin."" Zorc sieht das ""Nesthäkchen"" bei van Marwijk in besten Händen. Der Ex-Trainer empfindet diese Geste als Vertrauensbeweis und Indiz dafür, dass er beim BVB gar nicht so schlecht gearbeitet hat. Und es kommt nicht von ungefähr, dass gerade Borussias junge Spieler bei ihm noch Rat suchen. Nicht nur Sahin.