Noch mehr Kulturrevolution

"Oliver Bierhoff möchte die Modernisierung des DFB weiter vorantreiben. Doch das ist nicht so einfach. Vor allem, weil in der Bundesliga der WM-Effekt ausbleibt. Schlimme Zeiten waren das, als Jürgen Klinsmann noch Bundestrainer war. Jedes Wochenende reservierten ihm die Bundesligaklubs die besten Plätze auf der Ehrentribüne, damit er sich an Ort und Stelle ein Bild machen konnte von seinen Spielern. Doch meistens blieben die Plätze leer, weil Klinsmann lieber zuhause in Kalifornien im Fernsehsessel saß, und bekanntlich gab es deswegen einigen Unfrieden in der deutschen Fußballgesellschaft. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei, seitdem Joachim Löw das Amt ausübt. Jedes Wochenende sitzt der Bundestrainer in wenigstens einem Bundesligastadion und schaut sich Spiele an. Doch wieder gibt es jemanden, der darüber nicht glücklich wird. Und das ist der deutsche Bundestrainer. Denn im Stadion sieht er zwar unterhaltsame Fußballspiele, aber wenige Spieler, die für seine Mannschaft interessant sind. ""Es ist manchmal echt frustrierend´´, erzählt Oliver Bierhoff über die Wochenendplanung der DFB-Teamleitung: ""Wenn man sich bespricht, welche Spieler man beobachten möchte, dann kommt man schnell an Grenzen und stellt fest: Was für eine kleine Gruppe das ist, auf die man zurückgreifen kann.´´ Neulich im Daimler-Stadion zum Beispiel. Dort schaute sich Löw das Spiel Stuttgart gegen Borussia Dortmund an, und wurde schon beim Lesen des Aufstellungsbogens enttäuscht: Statt des talentierten Gentner spielte im Mittelfeld des VfB - trotz Verletzung - der Schwede Farnerud, und für den WM-Stürmer Odonkor war beim BVB sowieso kein Platz. ""Bei einigen Spielen ertappe ich mich beim Gedanken: Wieso schaue ich mir das eigentlich an?´´, sagt Bierhoff, denn der Erkenntniswert in eigener Sache bleibt zwangsläufig gering, wie dem Bundestrainer und dem Teammanager neulich wieder auffiel, als sie vor dem Irland-Spiel nach einer Aushilfe für die Innenverteidigung fahndeten: ""Wenn Sie sich die zwölf Vereine mit höheren Ambitionen anschauen, dann gibt es unter den 24 Innenverteidigern nur sechs Deutsche.´´ Darunter Christian Wörns. Es war also nicht nur Ironie, dass aus Salzburg der 36-jährige Thomas Linke vorbeugend ausrichten ließ, er verbitte sich eine Reaktivierung fürs Nationalteam. Was den Einsatz deutscher Spieler und das Praxistraining der Talente angeht, hat die Weltmeisterschaft keinen Bewusstseinswandel bei den Bundesligaklubs herbeigeführt. Von sportlichem Patriotismus als Folge des während der WM allseits gefeierten positiven, entspannten, fröhlichen P. kann keine Rede sein. ""In dem Sinne, dass man voll auf deutsche Spieler baut, kann ich einen neuen Patriotismus-Gedanken nicht erkennen´´, meint Bierhoff. Aber das ist kein Klagen. Der Manager weiß selbst, dass im Alltag des Meisterschaftsbetriebs und des internationalen Wettbewerbs Zwänge herrschen, die andere Prioritäten setzen. ""Bei den Vereinsvertretern ist keiner dabei, der sagt: Ich will keine deutschen Spieler, im Gegenteil. Sie würden gern mehr deutsche Spieler unter Vertrag nehmen und spielen lassen, aber ihnen fehlt teilweise der Mut - und teilweise die Auswahl´´, glaubt er. Daraus folgt einerseits die Anerkennung der rauen Bedingungen im Profigeschäft: ""Man muss sich dem offenen Markt eben stellen: Deutsche Handwerker müsssen ja auch gegen polnische Handwerker bestehen...´´ Und andererseits die Einsicht in die eigenen Möglichkeiten. Man müsse sich eben auf den engen Kreis der vorhandenen Spieler konzentrieren, sagt Bierhoff. Zumal zumindest die Auswahlspieler Inspiration durch die WM erhalten hätten: ""Bei unseren Spielern ist einiges passiert. Sie setzen sich mehr mit sich selbst auseinander, mit ihren Trainingsplänen, sie ergreifen Initiative. Gerade bei den Fitness-Übungen haben am Anfang doch einige die Augen verdreht und sind widerwillig hingekommen - aber nach der WM haben sie sich Materialien für die Übungen bestellt. Wichtig wird jetzt sein, die Spieler mehr übers Jahr zu begleiten.´´ Noch mehr als unter Klinsmann, als bereits die periodischen Leistungstests mit den amerikanischen Fitnesstrainern eine Kulturrevolution bedeuteten? Bierhoff denkt an eine Datenbank, auf der die Leistungswerte der Spieler gespeichert werden, eine Art elektronische Personalakte, die den sportliche Autoritäten beim DFB zur Verfügung steht. ""Die Leistungsdaten von der U-15 bis zum A-Team zu erfassen, ist der richtige Weg. Der Spieler sieht die Erfolge, die Trainer können Entwicklungen ablesen´´, sagt er. ""Mein Traum wäre eine Internet-Platform, auf der sich Trainer und Spieler einwählen könnten. Dieter Eilts könnte dann vor einer Nominierung alle Werte des Spielers einzusehen, inklusive Spielanalysen, Entwicklungen.´´ Um an dem Traum zu arbeiten, bedarf es allerdings einer besseren Abstimmung im DFB-Sportmanagement, wo bislang die parallel operierenden Abteilungen Nationalteam (Bierhoff/Löw/Eilts) und Nachwuchsarbeit (Matthias Sammer) ein Hierarchieproblem offenbaren. Bierhoff äußert sich dazu lieber vorsichtig: ""Unsere ursprüngliche Planung war ja: Der Bundestrainer gibt die Philosophie vor, und dann bricht man es runter. So wäre es mit unserem Kandidaten Bernhard Peters gelaufen. Jetzt steht Matthias neben uns. Es gibt zwei Blöcke nebeneinander, insofern müssen wir uns einigen.´´ Ende September beginnen die Verhandlungen. Dann tritt erstmals der von Bierhoff erfundene Sportvorstand beim DFB zusammen. Ein Pflichttermin auch für Bundestrainer Löw, wichtiger als jedes Ligaspiel."