Zum Glück gezwungen

Wie Borussia Dortmund wegen der Geldnot seine Talente fördert - Sahin jüngster Torschütze der Bundesliga Es ist noch nicht lange her, da haben die Fans in Dortmund morgens in der Zeitung nicht den Sport, sondern zuerst die Traueranzeigen gelesen, aus Angst, ihr BVB könnte darunter sein. Daß die Beerdigung ausblieb, lag nur am Geld, das selbst für die Sargnägel nicht mehr gereicht hat. Die nächsten schlechten Nachrichten waren dann die, daß die besten und teuersten Dortmunder sich reihenweise alles brachen, was ein Fußballspieler an Knochen, Knien und Bändern zu bieten hat - jedenfalls wurde die Angst vor der Grabrede wieder größer. Und nun dieses Wunder: Dortmund lebt. Über Nacht wird Dortmund wieder bewundert, alles schwärmt vom neuen BVB-Jugendstil. Am Wochenende hat Nuri Sahin sogar Geschichte geschrieben, als jüngster Torschütze seit Gründung der Bundesliga: 17 Jahre, zwei Monate und ein paar Tage ist Nuri jung - und doch schon alt genug, um mit seinen Kumpels Odonkor oder Kruska das Nürnberger Frankenstadion und die oberen Regionen der Tabelle zu stürmen. Ein gewisser Saka ist auch noch eingewechselt worden - auch der muß im Kino bei Filmen ab 16 noch den Ausweis vorzeigen. Rasselbande. Kindergarten. Talentschuppen. Seit den Dortmundern das Geld ausgeht, werden sie zu ihrem Glück gezwungen - vom Pech. Das klingt seltsam, ist aber wahr. Schon Rudi Völler hat sich an seine Anfänge einmal so erinnert: ""Mein Glück bei Kickers Offenbach war, daß der Verein total pleite war. Sie mußten mich spielen lassen."" Kofferträger oder Hoffnungsträger? Für die Jungen ist das immer ein schmaler Grat, und am besten sind die Aussichten für Senkrechtstarter neben Dortmund zur Zeit in Frankfurt. Auch bei Hertha BSC wird angesichts der pekuniären Schreckensmeldungen die Jugendforschung im eigenen Stall immer wichtiger, und in Köln macht der Trainer Rapolder dort weiter, wo sein Kollege Koller vor zwei Jahren angesetzt hat - der Schweizer schaute sich als Erstes die A-Jugend an, erblickte einen 18jährigen und sagte: ""Du spielst ab sofort Bundesliga."" ""Dankeschön"", sagte Lukas Podolski. Man hat seitdem öfter von ihm gehört. Viel zu oft verdankt es der deutsche Fußball dem Zufall, daß er auf seine Poldis, Nuris und sonstigen Rohdiamanten überhaupt stößt. Ein glücklicher Zufall war, rückwirkend betrachtet, auch die Karriere eines anderen Torschützen dieses Wochenendes: Kevin Kuranyi. Schalkes heutiger Held kam einst beim VfB vor allem zum Zug, weil die Finanzlage furchtbar war. Oder wunderbar? Stuttgarts Jugendleiter Frieder Schrof, der den VfB zum Dauermeister und FC Bayern des A-Jugendfußballs gemacht hat, sagt ganz offen, daß dieses Potential erst richtig genutzt wurde, als es den Schwaben richtig dreckig ging - und der damalige Manager Rolf Rüssmann die Spielervermittler samt deren Stars mit dem Hinweis vom Hof jagte: ""Solche Kaliber haben wir selbst scharenweise im Haus."" Mit Namen Hildebrand, Hinkel, Tiffert, Hleb, Kuranyi. Glücklicherweise und karrierefördernd stieß dann auch Philipp Lahm noch zu den Jungen Wilden des VfB Stuttgart. Der war bei den Bayern damals übrig. Wo viel Geld ist, hat ein Talent nichts zu lachen - wie pflegte bei den Bayern der frühe Schweinsteiger bescheiden zu sagen: ""Ich hoffe, daß ich wieder einmal dabei sein darf, wenn es um nichts geht."" Manche, wie Schweini, beißen sich durch. Weshalb wir auch von ihm noch öfters hörten. Andere Talente aber darben und verzweifeln - oder verschwinden ganz in der Versenkung. Auch der VfB Stuttgart, um dort noch kurz zu verweilen, hat längst wieder zu viel Geld für Stars. Dank seiner jungen Wilden. Der Verkauf von Hleb und Kuranyi hat mehr als zwanzig Millionen Euro in die Kasse gespült, und prompt haben sich die Stuttgarter dafür millionenteure Stürmer wie Tomasson und Gronkjaer gegönnt - auf Kosten eines jungen Wilden: Mario Gomez schießt zwar in den wenigen Minuten, die er gelegentlich spielen darf, häufig ein tolles Tor - wie neulich gegen Berlin. Doch zur Strafe durfte der U 21-Nationalspieler danach wochenlang nicht mehr ran in der Bundesliga. Das, sagt Stuttgarts Talentvater Schrof, sei nicht mehr nachvollziehbar - nicht bei einem solchen Talent. ""Gomez"", schwört er, ""ist so gut wie Kuranyi."" Doch Mario Gomez und all die anderen Hochbegabten können im Grunde jetzt nur still darauf hoffen, daß es ihrem Klub in absehbarer Zeit finanziell wieder so wunderbar furchtbar geht wie vor ein paar Jahren dem VfB Stuttgart. Oder so wie jetzt den Dortmundern, denen man zu ihrer Rasselbande um Nuri Sahin nur gratulieren kann - also zu ihrem unbezahlbaren Glück, kein Geld mehr zu haben.