Smolarek: Koller light

Seit dem Ausfall des Dortmunder Sturmführers Jan Koller springt Ebi Smolarek (24) in die Bresche und überrascht sogar seinen Trainer mit seiner Treffsicherheit. Das Ritual wiederholt sich Samstag für Samstag. Todmüde schließt Euzebiusz Smolarek, den alle nur ""Ebi"" nennen, die Tür seiner Wohnung in Herdecke auf, lässt die Tasche in den Flur plumpsen und haut sich dann aufs Ohr. ""Nach Spielen bin ich einfach nur kaputt"", verrät er, und wer Smolarek einmal bei der Ausübung seines Berufes zugeschaut hat, versteht, warum sich der Dortmunder Angreifer im Anschluss an seine aufreibende Schicht in schwarz-gelber Dienstkleidung nach Ruhe sehnt. Smolarek rennt, bis die Lungen pfeifen. Hetzt unermüdlich wie ein Duracell-Hase durch die Abwehrreihen des Gegners. Setzt jedem Ball nach. Springt in Not geratenen Kollegen zur Seite. Brummt so lange über den Platz, bis der Schiedsrichter die Partie für beendet erklärt. Still-Stand kennt dieser Profi nicht, schon allein dafür winden sie ihm in Dortmund Lorbeerkränze. Wer hier echte Ruhrgebiets-Mentalität verkörpert, wer schwitzt und schuftet, wer aus jeder Faser seines Körpers pure Energie herausquetscht, wer Teamgeist predigt und dabei keine Phrasen drischt, der ackert sich in die Herzen der Zuschauer. Erst recht, wenn sich immenser Fleiß mit messbarem Nutzen paart. Mit Toren. Die Smolarek in dieser Saison in nie erwarteter Zahl beisteuert. Selbst Bert van Marwijk (53), der den Sohn des früheren Frankfurters Wlodzimierz Smolarek (63 Spiele, 13 Tore von 1986 bis 1988) noch bei Feyenoord Rotterdam entdeckte und ihn Anfang 2005 nach Dortmund lotste, reagierte verblüfft: ""Wenn Ebi gut drauf ist, kann man von ihm acht bis zwölf Tore pro Saison erwarten. Aber so viele, das überrascht mich."" Nicht nur ihn. Smolarek ist kein Techniker aus der Feinkost-Abteilung des Fußballs, kein Zauberer wie Tomas Rosicky. Smolarek ist kein beinharter Zweikämpfer wie Dede, der seinen Gegner im direkten Duell auch mal kompromisslos umholzt. Smolarek ist kein Kopfball-Spezialist wie Karlheinz Riedle, der bei seinen Luftduellen wie von einem Trampolin hochfederte. ""Er ist einer"", sagt der Leverkusener Sportdirektor Rudi Völler, ""der keine speziellen Fähigkeiten zu haben scheint."" Außer einer überdurchschnittlichen Schnelligkeit vielleicht. Und seiner nie versiegenden Energie. Smolarek ist ein Wolf im Schafspelz. Wenn man so will, eine optische Täuschung, unscheinbar auf den ersten Blick, entschlossen, effektiv und schlau auf den zweiten. Dass er trifft, wie er trifft, in der Vorrunde bisher mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit, macht ihn zu einem Phänomen. Als der schmächtige Profi (1,78 m, 68 kg) vor Wochen in Kaiserslautern das Spiel zu einer One-Man-Show umfunktionierte, benötigte er bis zur 40. Minute ganze acht (!) Ballkontakte für drei Treffer. Sein Geheimnis? ""Wenn ich viel arbeite und mich gut bewege, kommt der Erfolg von allein"", sagt der Spieler. ""Er reagiert nicht, er ahnt Spielsituationen voraus"", sagt der Trainer. Trotzdem hielten nur die wenigsten für möglich, dass Smolarek die von Jan Koller (Kreuzbandriss, Pause bis Mai 2006) hinterlassene Lücke adäquat zu füllen in der Lage wäre. Wider Erwarten passten die riesengroßen Schuhe des Tschechen (Größe 50) seinem Vertreter doch, seinem Vertreter, der, wie BVB-Sportdirektor Michael Zorc (43) unterstreicht, Kollers Ausfall ""überkompensiert"" habe. Der den Stoff für ein modernes Märchen liefert. Und sich selbst doch so ungern als dessen Hauptdarsteller sieht. ""Was bisher in der Vorrunde geschehen ist, werte ich nicht als Märchen"", betont Smolarek, ""für mich war es immer ein Märchen, Fußball spielen zu dürfen. Es in Dortmund vor so viel Zuschauern tun zu dürfen, finde ich wunderbar."" Dieses Hochgefühl (und die daraus resultierenden Leistungen) brachte dem zunächst von Feyenoord Rotterdam ausgeliehenen Fußballer nach Blitzstart, drei Toren und vier Assists im Frühjahr einen Drei-Jahres-Vertrag (bis 2008) ein. Wer angesichts der dann folgenden Durststrecke den leisen Verdacht äußerte, Smolarek neige zu vorschneller Selbstzufriedenheit und den raschen Erwerb einer Stuttgarter Nobelkarosse als Beleg dafür anführte, dass der Profi eine Abzockermentalität wie scharf getadelte Kollegen aus der jüngeren Vergangenheit des Vereins an den Tag lege, befand sich gründlich auf dem Holzweg. Zum einen war der Renner aus Zuffenhausen nur geleast, zum anderen ließ Smolarek (nach auskurierter Verletzung) keinen Zweifel an totaler Identifikation mit seinem Klub und an entsprechendem Pflichtbewusstsein zu. Nicht einmal im Hier und Jetzt, das den Dauerrenner in der Spitzengruppe der Bundesliga-Topscorer sieht, drosselt Smolarek (zehn Länderspiele für Polen, drei Tore) das Tempo. ""Ich darf mit dem, was ich bisher geleistet habe, nicht zufrieden sein"", betont er, ""sonst enttäusche ich die Leute."" Außerdem, schickt Smolarek hinterher, sei er ""noch nicht da, wo ich hin will"". Wo er schon ist, ist das Geld noch immer knapp. Deshalb stückelt der Klub die Ablösesumme und bezahlt die mit Rotterdam vereinbarten 750 000 Euro für den Schnäppchen-Bomber in drei Häppchen. Das Gehaltstableau der Borussia führt Smolarek bestenfalls auf einem Mittelplatz. Mit einem Jahressalär, das wohl nur ein Viertel dessen erreicht, was Marcio Amoroso in Zeiten gigantischer Gagen einstrich (bis zu vier Millionen Euro pro Saison). Smolarek ist billig, aber unbezahlbar, zumal er in van Marwijks Drei-Spitzen-System sowohl auf der Seite wie auch im Zentrum Verwendung findet. Die größere Wirkung entfaltet er in der Mitte, ""auf dem Flügel"", sagt Smolarek, ""fühle ich mich gar nicht wie ein richtiger Stürmer"". Als solcher hatte Ruud Gullit als damaliger Trainer in Rotterdam keinerlei Verwendung mehr für ihn. Heute werden die Fortschritte des (offenbar unterschätzten) Spielers in Holland aufmerksam registriert. ""Man betrachtet mit Staunen, welche Entwicklung Smolarek genommen hat"", berichtet kicker-Korrespondent Jan Leerkes, ""er spielt in Dortmund viel besser, als man das erwartet hatte. Diese Fortschritte hatte man ihm nicht zugetraut."" Über Jan Koller spricht derzeit beim BVB kaum jemand, ""und das"", stellt van Marwijk fest, ist das größte Kompliment, das man Ebi Smolarek machen kann"".