Weidenfeller vermisst Führungsfigur im Mittelfeld

Für fast eine Dreiviertelstunde ging es zu wie bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Jeder der Anwesenden durfte sich äußern. Unzensiert. Im speziellen Fall gelebter Demokratie in Dortmund hieß dies: Kritik am eigenen Auftreten zu äußern oder auf die Linie Bert van Marwijks (54) einzuschwenken, der nach der Niederlage in Mönchengladbach einen schützenden Kokon aus Worten um seine Mannschaft gewebt hatte. ""Meine Sicht der Dinge deckte sich mit der des Trainers"", verriet Christian Wörns (34) nach der Sitzung am Samstagmittag, ""doch der eine oder andere"", räumte Dortmunds Kapitän ein, ""sah es anders."" Insgesamt freilich hätten nur ""ein bis zwei"" seiner Kollegen ein ""schlechtes Spiel"" gesehen. Außerdem, ergänzte Wörns, sehe die Welt mit einem Sieg über Hannover am kommenden Wochenende ""schon wieder ganz anders aus."" Diese Sichtweise mag vor dem Hintergrund der Instabilität vieler Klubs legitim sein, man kann sich ihr anschließen, man kann die Situation aber auch insgesamt einer Revision unterziehen und dann zu einer ernüchternden Einschätzung gelangen wie Präsident Dr. Reinhard Rauball (59): ""Im Gegensatz zu dem, was auf unserem Trikot steht, sind wir wie im Vorjahr nicht in der Lage, Ausrufezeichen zu setzen."" Zwei Siege, ein Unentschieden, zwei Niederlagen - von einem Topteam ist die Borussia derzeit so weit entfernt wie die zerstrittene Regierungskoalition in Berlin von einem Kompromiss bei der Gesundheitsreform. Ihr Erscheinungsbild gibt Anlass zur Sorge: So, wie sie sich in der noch jungen Saison bei ihrem mühsamen Selbstfindungsprozess präsentiert, mit keinem wirklich überzeugenden Auftritt über 90 Minuten, läuft sie Gefahr, dass ihr der angestrebte UEFA-Cup-Platz abhanden kommt. Entsprechend angesäuert ließ Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke (47) verlauten, er sei ""unheimlich enttäuscht"". Weitergehende Kommentare verweigerte er am Wochenende, was latenten Unmut beim starken Mann der Borussia offenbart und die Vermutung gestattet, er tendiere womöglich zu einer anderen als der bisher praktizierten ""Schönwetter-Therapie"", die keine weitere Aufarbeitung der Niederlage in Mönchengladbach vorsieht. Dort erlitt das Dortmunder Mittelfeld einen Infarkt, es entwickelt sich mehr und mehr zur Problemzone des BVB, von ihm gehen weder Torgefahr noch Dynamik aus, was personelle Zukäufe und ein Systemwechsel eigentlich gewährleisten sollten. Inzwischen mehren sich Stimmen, die speziell diesem Mannschaftsteil zugestandene Klasse könne vielleicht doch auf großen Worten und allgemeiner Überschätzung beruhen. Roman Weidenfeller (26) legt den Finger in die Wunde, wenn er auf dem Rasen das Fehlen einer Figur beklagt, ""die das Spiel in die Hand nimmt"". Der Torwart vermisst im Mittelfeld einen Kollegen, ""der dirigiert und den Mund aufmacht"". Marc-Andr, Kruska (19) kann das in Abwesenheit Sebastian Kehls (26) schon angesichts eigener Schwächen (Kopfball, Spieleröffnung) nicht sein. Der zuletzt wieder behäbig wirkende Florian Kringe (24) hat zu viel mit sich selbst zu tun, und Tinga (28), der am Freitag erstmals blass blieb, scheitert (noch) an der Sprach-Barriere. Steven Pienaar (24) schließlich, den Sportdirektor Michael Zorc (44) im Wissen um aktuelle Anpassungsschwierigkeiten als ""kontrollierenden Mittelfeldspieler"" bezeichnet, bringt immensen Aufwand und angestrebten spielerischen Nutzen bisher nicht in Einklang. Er setzt im Kreativ-Zentrum keine Highlights.